Die teils hohe radioaktive Belastung von Wildschweinen vor allem in Bayern geht einer Studie zufolge zu einem unerwartet hohen Teil auf Atomwaffenversuche zurück – und damit nicht nur auf die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl. Der sogenannte Fallout habe sich weltweit verteilt – und auch in Bayern Niederschlag gefunden, erläutern die Wissenschaftler im Fachmagazin „Environmental Science & Technology“. Teils stammten zwei Drittel des radioaktiven Cäsiums in den untersuchten Tieren aus Atomwaffenversuchen, die vor allem in den 1950er Jahren oberirdisch gezündet wurden.
Die Forscher um den Radioökologen Georg Steinhauser von der Technischen Universität Wien hatten rund 50 in Bayern erlegte Wildschweine aus den Jahren 2019 bis 2021 untersucht und dabei eine Belastung mit dem radioaktiven Isotop Cäsium-137 von 370 bis zu 15 000 Becquerel pro Kilogramm festgestellt. Damit wurde der EU-Grenzwert für den Verzehr um das bis zu 25-fache überschritten. Er liegt bei 600 Becquerel.
Bisher sei angenommen worden, dass der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 die Hauptquelle für Cäsium-137 in freier Wildbahn sei, erläutern die Wissenschaftler um Steinhauser. Nun aber stellten sie bei einer detaillierten Analyse der Isotope fest, dass das bei Atomwaffentests entstandene Cäsium-137 erheblich zur Belastung der Wildschweine beiträgt. Es sei die erste Studie, die das Cäsium aus Atomwaffentests quantifiziere, sagte Steinhauser der Deutschen Presse-Agentur.
Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop, das nicht in der Natur vorkommt. Es kann sich nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) im Knochengewebe einlagern und dort das Erbgut schädigen. Langfristig kann das zu Knochenkrebs und Leukämie führen. Jäger und auch Pilzsammler sollten sich über ihre zusätzliche Strahlendosis durch den Verzehr von Wildpilzen und Wildbret informieren, schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) auf seiner Internetseite.
Etwa 10 Prozent des radioaktiven Cäsiums in Bayern gehen laut Steinhauser nach früheren Schätzungen auf die Atomwaffentests zurück, etwa 90 Prozent auf Tschernobyl. Dennoch stammte das Cäsium in den Wildschweinen zu bis zu 68 Prozent aus Atomwaffen – ein erstaunlich hoher Anteil. Um die Herkunft der radioaktiven Belastung festzustellen, bestimmten die Forscher das Verhältnis von Cäsium-135 zu Cäsium-137.
„Selbst wenn es Tschernobyl nicht gegeben hätte, würden einige Proben den Grenzwert überschreiten“, sagte Steinhauser. „Verantwortlich dafür dürfte der Hirschtrüffel sein, der unterirdisch lebt.“ Weil das Cäsium nur langsam durch den Boden wandere, komme es erst spät bei dem Pilz an. „So erklärt sich, dass das ‚alte‘ Cäsium überproportional im Wildschwein ist – das Tschernobyl-Cäsium ist beim Hirschtrüffel noch gar nicht in vollem Ausmaß angekommen.“ Vor allem wenn das Futter an der Oberfläche gegen Ende des Winters knapp werde, müssten die Tiere graben und sich von dem Pilz ernähren. Das erkläre auch, warum im Winter geschossene Schweine tendenziell stärker kontaminiert waren.
Atomwaffen waren vor allem in den 1950er Jahren bis 1963 von den USA und der Sowjetunion oberirdisch getestet worden. Daraus stamme der Hauptanteil der radioaktiven Belastung, spätere Tests hätten eine untergeordnete Bedeutung, sagte Steinhauser. Das zeige allerdings auch, wie hoch die Belastung damals gewesen sein muss. Denn Cäsium-137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Damit sind heute ohnehin nur noch 25 Prozent dieses radioaktiven Cäsiums übrig. Von Tschernobyl dürften demnach noch rund 42 Prozent vorhanden sein.
Erst am Montag hatte das BfS berichtet, dass vor allem in Bayern weiter viele Pilze mit radioaktivem Cäsium belastet sind. Betroffen seien vor allem Gebiete im Süden und Osten Bayerns, wo sich nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl deutschlandweit am meisten radioaktives Cäsium ablagerte. Bei bestimmten Pilzen wurden bei Untersuchungen in den Jahren 2019 bis 2021 bis über 4000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm Frischmasse gemessen. Hier wurde aber nicht untersucht, ob das Cäsium auch von Atomwaffentests stammte. (dpa)
Von Sabine Dobel, dpa