Der Film spielt um 1860 und ist nur vordergründig ein Western. Im Kern geht es um eine starke Frau, die sich allein in einer von Männern dominierten Welt behaupten muss, herausragend gespielt von Vicky Krieps («Corsage»).
Starke Motive des Films sind Einsamkeit und Zurückhaltung, aber auch Sehnsucht nach Liebe - ohne Selbstaufgabe. Gerade hat sich Vivienne auf Holger eingelassen, zögerlich nur, auch weil es ihr schwerfällt, anderen Menschen ihr Herz zu öffnen. In einer Blockhütte abseits einer kleinen Stadt im Nirgendwo wollen sie ihre Zukunft aufbauen.
Doch bald darauf fasst Holger einen folgenschweren Entschluss: Er zieht in den Bürgerkrieg. Vivienne bleibt zurück, wütend und enttäuscht. Auf sich allein gestellt, muss sie sich gegen Männer zur Wehr setzen, die alle überzeugt sind, das Recht der Stärkeren auf ihrer Seite zu haben. Und im Zweifel greifen sie zur Waffe und scheuen auch vor Lügen nicht zurück.
Viggo Mortensen lässt sich Zeit
Mortensen, der auch das Drehbuch geschrieben hat, erzählt einfühlsam, aufwühlend und mit vielen poetischen Momenten. Er nimmt sich Zeit, die Geschichte zu entwickeln und den Figuren Tiefe zu verleihen. Sowohl Holger als auch Vivienne tragen Geheimnisse und alte Wunden mit sich herum, die man ergründen möchte.
Doch auch die anderen Charaktere machen neugierig, etwa der Bösewicht Weston Jeffries, überzeugend gespielt von Solly McLeod. Er ist der Sohn des reichsten Mannes der kleinen Stadt und fühlt sich wie der ungekrönte Herrscher. Trinken, prügeln, Menschen erschießen - für ihn alles ohne Folgen. Als Holger verschwindet, nimmt er Vivienne in den Blick. Er will sie unbedingt haben, notfalls gewaltsam.
McLeod spielt ihn als Macho, hinter dessen brutaler Fassade sich eine große Unsicherheit verbirgt. Keine einfache Aufgabe für den 24-Jährigen, die er aber bravourös meistert. Eine Szene, in der Weston von seinem Vater fertig gemacht wird, habe ihm die Annäherung erleichtert. «Man sieht, dass Weston eine gewisse Verletzlichkeit oder Schwäche zeigt und nicht länger nur der Stärkste ist, das hat mir sehr geholfen», sagt der Nachwuchs-Schauspieler.
Sorgsam entwickelte Rollen
Auch kleine Rollen wie den Klavierspieler im Saloon, der eigentlich ein Virtuose ist und so gar nicht in das Provinznest passt, hat Mortensen akribisch entwickelt. «Du könntest einen eigenen Film über Claudio machen», findet er selbst. «Er ist ein viel zu guter Klavierspieler, um so lange in diesem Saloon auf diesem alten Klavier zu spielen.» War es die Liebe? Immerhin hat er eine Frau und eine Tochter und wird mit seiner Familie für Vivienne zum wichtigen Rückhalt.
Am Ende sind es viele kleine Geschichten, die sich in «The Dead Don't Hurt» zu einem vielschichtigen Ganzen fügen. Es geht um Träume, Hoffnungen, Enttäuschungen, Ängste, Verletzungen, um Machtgier und Freude an der Grausamkeit.
Nichts ist selbstverständlich, so die Botschaft des Films. Der Frieden, die Liebe und das Glück müssen erarbeitet werden und nicht immer wird am Ende alles gut. Auch bei Holger nicht.
Filmmusik von Mortensen komponiert
Der vorwiegend in Durango in Mexiko gedrehte Film findet für die sehr menschliche Erzählung poetische Worte und beeindruckende Bilder. Wunderschön auch die Musik, die Mortensen zum Großteil selbst komponiert und am Klavier eingespielt hat, in Anlehnung an die damalige Zeit.
Die Musik sei lange vor den Dreharbeiten entstanden, berichtet er. Den Schauspielerinnen und Schauspielern spielte er am Filmset zu einzelnen Szenen die passende Musik vor, um ihnen die Stimmung zu vermitteln, die er haben wollte. «Die Musik sollte sich als Teil der Geschichte anfühlen und nicht von ihr ablenken», so sein Wunsch.
Wer möchte, kann durchaus Parallelen zu heute entdecken, etwa wenn es um die Waffen geht, die bei den Männern im Film Teil ihres Selbstverständnisses sind. Oder um Menschen, die mit Lügen und Intrigen nach der Macht greifen. Beabsichtigt sei das nicht. «Als Regisseur muss ich nicht sagen, ich möchte eine Botschaft vermitteln. Ich habe nur versucht, eine Geschichte zu erzählen», sagt Mortensen.
«Aber wenn eine Geschichte gut erzählt ist und Sie gute Schauspieler haben und man ihnen abnimmt, dass es sich bei den Figuren um echte Menschen mit echten Problemen und Meinungsverschiedenheiten, Konflikten und Hindernissen handelt, dann werden Sie sie natürlich mit ihrer Zeit vergleichen.» (dpa)