Festliche Musik, Geschenke, die Familie versammelt: In den Wochen nach Ostern feiern viele katholische Kinder ihre Erstkommunion. Davor sollen sie zur Beichte. Der Leiter der großen Missbrauchstudie warnt.
Wer sein Kind katholisch taufen lässt, schickt es später meist auch zur Erstkommunion. Das betont die Deutsche Bischofskonferenz (DBK): „Katholisch getaufte Kinder gehen laut Statistik fast ausnahmslos zur Erstkommunion“, heißt es im jährlich veröffentlichten Zahlenwerk zur Situation der Kirche in Deutschland.
Vor der Erstkommunion, die meist in den Wochen nach Ostern gefeiert wird, müssen die Kinder jedoch etwas tun, was den meisten erwachsenen Mitgliedern der katholischen Kirche längst fremd geworden ist – nämlich zur Beichte gehen. „Nach vorheriger sakramentaler Beichte“, so heißt es im Kirchenrecht, folgt die Erstkommunion. Grundschüler der dritten Klasse, meist neun oder zehn Jahre alt, sollen also einem fremden Mann, dem Priester, beichten, was sie so falsch gemacht haben in ihrem bisherigen Leben. Und das natürlich alleine, so dass niemand zuhört.
Können Kinder sündigen?
Auch Seelsorgende sehen dieses Thema zunehmend kritisch, wie Helmut Heiss, Leiter des Fachbereichs Sakramentenpastoral im Erzbischöflichen Ordinariat München-Freising, sagt. Das Kirchenrecht sei gar nicht so eindeutig, wie es der erste Blick vermuten lässt. An anderer Stelle heiße es, die Beichte sei nur bei schweren Sünden vorgeschrieben. „Es ist sehr strittig, inwieweit acht- oder neunjährige Kinder zu schweren Sünden fähig sind.“ In zwei Erstkommunion-Konzepten, die er mitverfasst habe, werde der Akzent aber beim Thema Versöhnung gesetzt, betont Heiss. Es werde beispielsweise Wert auf die Versöhnungskultur in der Familie gelegt. „Versöhnung muss geübt und gelernt werden“, heißt es darin.
Die Beichte ist besonders für Kinder in den vergangenen Jahren zunehmend kritisch hinterfragt worden. Eine Rolle hierbei spielt der Missbrauchsskandal, der die katholische Kirche seit nun schon mindestens 13 Jahren erschüttert
Harald Dreßing, Leiter des Bereichs Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, hat die sogenannte MHG-Studie geleitet, die sexualisierte Gewalt von Priestern und Diakonen in den deutschen Diözesen untersucht hat. Die Studie habe gezeigt, dass auch der Beichtstuhl Tatort für Missbrauch gewesen ist, sagt er. Die Beichte wurde demnach auch genutzt, um die Straftaten zu planen und vorzubereiten. „Kinder wurden ausgefragt und als potenzielle Opfer ausgespäht.“
Beichte und Missbrauch als „toxische Mischung“
Viele Menschen hätten später beispielsweise von unpassenden Fragen durch die Priester bei der Beichte berichtet. „Die Situation wurde perfide ausgenutzt. Das war eine toxische Mischung.“ Beim sexuellen Missbrauch gehe es um Macht – und das potenziere sich im Beichtstuhl, wo der Beichtvater die Macht habe, von Sünden loszusprechen. „Das ist eine hochgradig ängstigende Situation.“
Daraus leite sich auch die grundsätzliche Frage ab, ob Kinder unter 14 überhaupt beichten sollten, sagte Dreßing. Aus entwicklungspsychologischer Sicht sei die Kinderbeichte kein geeignetes Format. Kinder könnten im Alter der Erstkommunion die Themen Schuld und Sünde noch gar nicht erfassen. Das setze erst mit etwa 14 Jahren ein. So werde die Beichte entweder zum inhaltslosen Ritual – oder schüre Ängste. Die Kirche jedoch argumentiere: Die Beichte sei ein Sakrament und deshalb unantastbar. Allerdings gebe es Auslegungsspielraum. Es gebe eine Reihe von Priestern, die die Kinderbeichte als problematisch ansehe.
Beichte nicht mehr ganz so zentral
Die Missbrauchsstudie des Bistums Münster listet zahlreiche Fallbeispiele auf, bei denen es im Kontext der Beichte zu Missbrauch kam oder dieser vorbereitet wurde. „Während heute die Beichte für zahlreiche Katholik:innen eine randständige Bedeutung einnimmt, war sie bis in die 1980er Jahre ein zentraler und regelmäßiger Bestandteil der Glaubenspraxis“, heißt es in der Mitte 2022 veröffentlichten Studie eines Teams um den Historiker Thomas Großbölting.
Mit dem Bedeutungsverlust der Beichte dürfte das Setting aber auch beim Thema Missbrauch heute eine unwichtigere Rolle spielen: „Da die Beichte in den letzten vier Jahrzehnten massiv an Bedeutung für die Glaubenspraxis verloren hat, ist zu vermuten, dass auch die absolute Zahl von Missbrauchstaten, die durch dieses Setting angebahnt und in diesem Kontext begangen wird, zurückgegangen ist.“
Viele Gemeinden bemühen sich darum, das Thema Beichte möglichst kindgerecht anzupacken. Es wird mit Symbolen und Bildern gearbeitet, unförmige Steine werden durch die Beichte in Edelsteine verwandelt. Vom „Versöhnungsgespräch“ ist etwa in einer Broschüre der Gemeindekatechese des Bistums Eichstätt in Bayern zu lesen.
Ruf nach allgemeinem Schutzkonzept
Und was das Thema Prävention betrifft: Alle Pfarreien müssten sich zu einem Schutzkonzept bekennen, das von der Stabsstelle Prävention auch genehmigt werden musste, betont Helmut Heiss aus dem Münchner Ordinariat. Es sei zum Beispiel sinnvoll, dass auch die Möglichkeit zur Beichte in einem nicht-sakralen Raum besteht bei geöffneter Tür.
Vertrauenspersonen könnten so in Sicht-, aber nicht in Hörweite bleiben. Das Kind habe auch die Möglichkeit, den Raum zu verlassen, wenn es sich unwohl fühlt. „Der Sensibilität der Seelsorgenden gegenüber den Eltern in Bezug auf die Erstbeichte ist sehr groß.“ Ein Sichtkontakt werde in der Regel immer ermöglicht, wenn dies gewünscht werde. (dpa/lby)