Wohl letztmals während der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden kommen die Partner der Ukraine in Ramstein zusammen. Unter Bidens Nachfolger Donald Trump könnte die Hilfe für Kiew schwieriger werden.
Wenige Tage vor Amtseinführung des künftigen US-Präsidenten Donald Trump kommen die Partner der Ukraine auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zusammen. Auf der größten Air Base außerhalb der Vereinigten Staaten beraten Verteidigungsminister und ranghohe Militärs am Donnerstag (11.00 Uhr) über die weitere Unterstützung der Führung in Kiew im Krieg gegen Russland.
Selenskyj kündigte Gespräche über weitere Waffenlieferungen an. „Die Schlüsselaufgabe für die Ukraine ist die Stärkung unserer Flugabwehr, die Ukraine zumindest in die Lage zu versetzen, die russische Luftwaffe von unseren Städten und Grenzen fern zu halten“, sagte der Staatschef in seiner täglichen Videobotschaft. Geplant seien neben Unterredungen im sogenannten „Ramstein-Format“ auch bilaterale Gespräche.
Zu der Konferenz hat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Mitglieder der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe eingeladen. Dazu gehört Deutschland. Erwartet werden etwa Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), Nato-Generalsekretär Mark Rutte und die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Auch der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow war Selenskyj zufolge bereits am Mittwoch in Deutschland und führte Gespräche. Wie bei früheren Treffen im pfälzischen Ramstein werden auch Vertreter von Staaten erwartet, die nicht der Nato angehören.
Erwartet wird Medienberichten nach auch die Verkündung eines letzten neuen Pakets an US-Militärhilfe vor dem Machtwechsel in Washington am 20. Januar.
Experte: Möglicherweise letztes Treffen in diesem Format
Nach Einschätzung des Politologen David Sirakov könnte die Konferenz das letzte Treffen in diesem Format sein. „Nach allem, was wir aus dem Wahlkampf und dem Umfeld von Donald Trump wissen, ist das wahrscheinlich“, sagte Sirakov der Deutschen Presse-Agentur. Der designierte US-Präsident setze wohl eher auf Alleingänge als auf Zusammenarbeit. „Trump hat immer wieder die Ukraine-Unterstützung kritisiert und angekündigt, diese einzustellen.“
Bei der Konferenz erwarte er drei Dinge, sagte der Leiter der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. „Zunächst wird es eine Selbstvergewisserung der Partner, dass sie gewillt sind, die Unterstützung der Ukraine aufrechtzuerhalten. Zudem wird es der Abschied von US-Verteidigungsminister Austin aus diesem Forum.“
Drittens werde es wenige Tage vor Trumps Amtseinführung am 20. Januar möglicherweise das Ende dieses durch die USA ausgerichteten Forums, meinte Sirakov. „Weitere Treffen werden gegebenenfalls ohne amerikanische Beteiligung an anderen Orten stattfinden – eventuell in Wiesbaden, wo das neue Nato-Ukraine-Kommando stationiert ist.“ Russland führt seit dem 24. Februar 2022 einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine.
Russische Angriffe töten über ein Dutzend Menschen
Überschattet wird die Deutschlandreise Selenskyjs von einem neuen verheerenden Bombenangriff der russischen Luftwaffe auf die südostukrainische Industriestadt Saporischschja. Behördenangaben nach wurden bei dem Angriff mindestens 13 Menschen getötet und über 60 verletzt. „Es gibt nichts Brutaleres als Bomben auf eine Stadt, wenn man weiß, dass gewöhnliche Zivilisten darunter leiden werden“, schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj bei Telegram. Der Angriff galt nach ersten Behördenangaben einem Industrieobjekt.
Polizeiangaben zufolge schlugen zwei 500-Kilo-Bomben in der Stadt ein. Vier Verwaltungsgebäude, fast 30 Autos und eine Straßenbahn wurden dabei beschädigt. Vor dem russischen Einmarsch hatte die Stadt über 700.000 Einwohner. Die Stadtverwaltung ordnete für den Donnerstag einen Trauertag an.
Die Frontlinie zwischen russischen und ukrainischen Truppen verläuft nur etwa 30 Kilometer südlich der Großstadt. Russische Kampfjets werfen die Gleitbomben noch über russisch kontrollierten Gebiet aus sicherer Entfernung von der ukrainischen Flugabwehr ab. Gegen die ins Ziel gelenkten Bomben haben die Angegriffenen so gut wie keine Abwehrmöglichkeiten.
Südlich von Saporischschja wurden in der Siedlung Stepnohirsk zudem bei einem weiteren russischen Angriff zwei Menschen getötet und zwei weitere verletzt. Alle vier befanden sich unter den Trümmern eines Hauses. Stepnohirsk befindet sich nur wenige Kilometer von der Frontlinie bei Kamjanske entfernt.
Zahl der ukrainischen Fahnenflüchtigen massiv gestiegen
Im dritten Kriegsjahr ist die Zahl der ukrainischen Fahnenflüchtigen massiv angestiegen. Statistiken der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft zufolge wurden 2024 über 22.000 Fälle von Desertion registriert. Hinzu kommen noch mehr als 62.000 Fälle von eigenmächtigen Fernbleiben von der Truppe. Gegenüber dem Vorjahr stellt dies bei Deserteuren fast eine Verdreifachung und beim eigenmächtigen Fernbleiben beinahe eine Vervierfachung dar.
Im Vergleich zum ersten Kriegsjahr 2022 sind die Steigerungsraten mit einer Versiebenfachung bei Desertionen und einer mehr als Verzehnfachung beim eigenmächtigen Fernbleiben noch drastischer. In Summe wurden seit Kriegsausbruch fast 120.000 Fälle von Fahnenflucht registriert. Beobachter gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.
Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zwar in einem kürzlichen Interview von einem Rückgang dieser Fälle im Oktober und November berichtet. In den Daten der Generalstaatsanwaltschaft wird jedoch ein massiver Anstieg im Dezember verzeichnet. Und eine Verringerung wurde für die genannten Monate nur für die Desertionen verzeichnet. Selenskyj nach seien in der ukrainischen Armee gerade 980.000 Soldaten.
Täglich kursieren in sozialen Netzwerken neue Videos mit Jagdszenen nach Wehrpflichtigen und Prügeleien mit Rekrutierern in ukrainischen Städten. Trotz verschärfter Gesetze und allgegenwärtiger Werbung für den Militärdienst konnte die ukrainische Armee einem Bericht der Washington Post nur gut 200.000 neue Soldaten im Vorjahr einziehen. Die russische Seite soll zur gleichen Zeit mehr als das Doppelte neuer Soldaten gezogen haben.
Schätzungen der Parlamentsabgeordneten Anna Skorochod zufolge sind seit der Mobilmachung rund 1,2 Millionen wehrpflichtiger ukrainischer Männer illegal ins Ausland geflohen. Seit der Verhängung des Kriegsrechts können Wehrpflichtige nur noch in Ausnahmefällen das Land verlassen. Viele versuchen die Flucht daher mit gefälschten Dokumenten oder über die grüne Grenze. Weit verbreitet ist auch der Freikauf vom Militärdienst.
Die Ukraine wehrt sich mit westlicher Hilfe seit fast drei Jahren gegen eine russische Invasion. (dpa)