Lange Haare bei Männern, das war vor Jahrzehnten mal ein Aufreger. Jetzt sorgt die Frisur von zwei Nachwuchs-Schuhplattlern in Oberbayern für haarige Debatten – und manches Kopfschütteln.
Laptop und Lederhose, das hat in Bayern einen guten Klang. Aber lange Haare bei einem Schuhplattler? Weil die Frisuren ihrer Söhne im örtlichen Trachtenverein in Trostberg immer wieder kritisiert wurden, sind Evi und Markus Heigermoser mit der ganzen Familie ausgetreten. Es haben Anspielungen gegeben, die Buben kämen „gschlampert“ daher, sagt Evi Heigermoser. In der Hauptversammlung im Januar sei die Familie vor allen erneut angesprochen worden: Die Haare sollten weg. „Das war der Endpunkt“ – und Auslöser für die Entscheidung zum Austritt der sechsköpfigen Familie mit beiden Söhnen und zwei Töchtern. Mehrere Medien hatten darüber berichtet.
Der Schritt sei nicht gegen Tradition und Brauchtum gerichtet, betont Evi Heigermoser, die im Verein lange Schriftführerin war. Aber Ausgrenzung dürfe es nicht geben. „Wir wollen aufklären und wachrütteln“, sagt sie. „Wir wollen, dass sie wach werden. Ich will, dass sie offener werden.“ Die Haare seien hier nur die Spitze des Eisbergs.
Was ist Brauchtum – was darf diskutiert und was verändert werden? Die Meinungen gehen auseinander. Die Frisur zähle zur Tracht; die Frauen müssten das Haar hochstecken, sagt Michael Hauser, Vorstand des Gauverbands I, größter Zusammenschluss von Trachtenvereinen in Bayern. Schließlich gebe es auch anderswo Vorgaben zur Haartracht, in Oberammergau zur Passion müssten die Männer die Haare wachsen lassen.
„Das Problem ist nicht, dass man Regeln aufstellt, sondern dass man bewertet. Das hat mit Toleranz wenig zu tun“, sagt Alexander Karl Wandinger, Trachtenfachberater des Bezirks Oberbayern. „Trachtenvereine brauchen Regeln, das ist völlig klar. Aber wir müssen neu verhandeln: Passt das noch in unsere Zeit?“, sagt der Trachtenexperte. „Wir werden immer wieder Veränderungen haben, und das ist auch gut. Das zeigt, dass etwas lebendig ist. Kulturformen, die sich nicht von Zeit zu Zeit ändern, sterben.“ Auch das Schuhplatteln habe sich verändert. Früher habe es beispielsweise mehr individuelle Figuren gegeben.
Für Hauser wiederum hat sich als „Konsens entwickelt“, wie die Tracht in der Öffentlichkeit zu tragen ist. „Die Tracht hat sich so entwickelt, so kennt man sie, so sind wir im In- und Ausland bekannt. Je fescher und schneidiger das ausschaut, desto mehr Anklang findet das.“ Lange Haare seien kein Problem, solange es nicht um öffentliche Auftritte in der Tracht gehe. Im Trostberger Fall hätte sich bei gutem Willen „sicher ein Konsens finden lassen“, meint der Gauverbands-Vorstand.
Doch das hat eben nicht funktioniert. Die sechsköpfige Familie – neben den beiden fünf und 15 Jahre alten Buben zwei Töchter – war im Trachtenverein intensiv engagiert und verwurzelt. Die Eltern waren wie ihre eigenen Eltern von Kindheit an Mitglied, der Vater betreute die Webseite, war zeitweise Vorstand und zuletzt Jugendleiter. „Nach Austritt hat sich niemand gemeldet“, sagt Evi Heigermoser. „Stillschweigen.“
Der Vorstand des örtlichen Trachtenvereins mag sich dazu nicht mehr äußern, ebenso wenig eine Stellvertreterin. Der zweite Vorplattler des Vereins, Andreas Zenz, sieht die Sache locker. „Ich hatte früher auch mal längere Haare und durfte mitmachen“, sagt er. „Ich halte nichts davon, dass man Kinder nicht mitmachen lässt, nur weil sie längere Haare haben.“ Er spreche aber nur für sich, betont er. Es gebe unterschiedliche Meinungen im Verein.
Lange Haare bringen ambitionierten Plattlern auch tatsächliche Nachteile. „Beim Preisplatteln gibt es Punktabzug, wenn man lange Haare hat, der beste Spitzenplattler kann dann niemals Erster werden“, sagt Evi Heigermoser. Der 15-jährige Sohn Done sei auch ausgetreten, „weil ihm die Kommentare zu viel wurden.“ Sein Hauptsport sei ohnehin Eishockey. Die Haare habe er auch wachsen lassen, weil seine kanadischen Idole lange Haare tragen. „Beim Eishockey schauts cool aus“, sagt die Mutter. Der fünfjährige Simmerl hingegen verstehe die Welt nicht mehr, seit er nicht mehr zum Platteln in den Verein gehe. „Der Kleine hat leidenschaftlich geplattelt. Dem hat das so Spaß gemacht.“ Trotzdem sei für den Buben klar: „Er schneidet sich seine Haare nicht ab.“
Lange Haare bei Männern – das hatte über die Zeiten unterschiedliche Bedeutung. In den 1960er-Jahren galt es als Protest gegen die bürgerliche Gesellschaft – die wiederum die Langhaarigen als Gammler klassifizierte. In früheren Jahrhunderten sah man das anders. „Über Jahrhunderte waren Männer stolz auf ihre langen Haare“, erläutert der Trachtenexperte Wandinger.
Kopfschütteln bei Karl-Heinz Knoll, Präsident des Festrings München, der unter anderem den großen Trachten- und Schützenzug zum Oktoberfest mit rund 9000 Trachtlern aus vielen Ländern organisiert. „Ich misch mich sicher nicht in die Angelegenheiten des Trachtenverbandes ein“, betont er gleich vorweg. Aber: „Soviel ich weiß, haben sämtliche Brauchtumsgruppen große Schwierigkeiten, Nachwuchs zu finden. Ich würde halt keinen Nachwuchs frustrieren, indem ich seine Haartracht hernehme, um sein Können im Tanz, im Platteln zu minimalisieren.“
Bevor etwa um 1880 die Trachtenvereine entstanden, „waren lange Haare bei Männern gang und gäbe“, erläutert Knoll. „Es gibt die persönliche Freiheit. Was wollen wir noch alles reglementieren?“ Er habe ein Foto von einem der Buben mit langen Haaren gesehen. „Das hat eigentlich nett ausgeschaut.“ Im Übrigen sei das mit den Haaren doch gar „nicht so tragisch“: „Zu den meisten Trachten gehört ein Hut.“ Damit verschwindet die Haarpracht ohnehin unter der Kopfbedeckung. (dpa/lby)