Die neue 15-Kilometer-Regel verstehen viele Menschen nicht. Auch Virologen zweifeln an der Wirksamkeit. Doch manche Landkreise und Städte gehen noch weiter – und wollen Ausflügler fernhalten.
Zahlreiche Landkreise und kreisfreie Städte in Bayern wollen ihre Grenzen für Tagesausflügler schließen, darunter die Landkreise Berchtesgadener Land, Deggendorf, Freyung-Grafenau, Regen und Cham. Die Einhaltung dieser Regel soll einem Sprecher des Innenministeriums zufolge ebenso von der Polizei kontrolliert werden wie die Einhaltung der seit Montag geltenden umstrittenen 15-Kilometer-Regel. Der Vorschlag des Gemeindetagspräsidenten Uwe Brandl, für doe Kontrolle Handydaten der Bürger zu nutzen, stieß auf massive Kritik.
Insgesamt 28 kreisfreie Städte und Landkreise sind nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) von der neuen Beschränkung der Bewegungsfreiheit betroffen: Bewohner entsprechender Regionen dürfen sich nur noch 15 Kilometer weit von ihrem Wohnort wegbewegen, wenn die Zahl der Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen mehr als 200 beträgt. Betroffene Landkreise haben die Möglichkeit, Tagesreisen von außerhalb in ihre Region zu verbieten.
Christian Bernreiter (CSU), Landrat von Deggendorf und Präsident des Bayerischen Landkreistages, setzt darauf, dass mit dieser Maßnahme – sowohl der 15-Kilometer-Regel wie auch dem Abgrenzen der Hotspots – die Zahl der Kontakte der Menschen untereinander gesenkt werden kann. Er appellierte an die Menschen, für drei Wochen „die Zähne zusammenzubeißen“ und nicht nur zu schauen, wo es ein Schlupfloch gebe – auch wenn die Situation kräfteraubend und nervenzehrend sei.
Virologen sehen die Maßnahme allerdings skeptisch. „Eine 15-Kilometer-Grenze bringt infektiologisch gesehen zunächst keinen Vorteil“, sagte Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München und Leiterin des Instituts für Virologie der Technischen Universität München. „Natürlich erschrecken einen die Bilder von überfüllten Ausflugszielen zunächst“, sagte sie. „Aber wenn man die Ansammlung von Menschen vermeiden will, ist es vielleicht doch effizienter, für einzelne Orte gezielt Zugangsbeschränkungen einzuführen, zum Beispiel wenn die Parkplätze sich füllen die Zugangsstraßen zu sperren, als generell den Bewegungsradius einzuschränken.“
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) verwies darauf, dass Verstöße gegen die 15-Kilometer-Regel mit einem Bußgeld von 500 Euro belegt werden können. Von diesem Regelsatz kann nach oben oder unten abgewichen werden.
Die Landkreise Deggendorf, Freyung-Grafenau, Regen und Passau beispielsweise wollten sich untereinander abstimmen, dass Bürger, die an einer Landkreisgrenze wohnen und deren 15-km-Radius in den Nachbarlandkreis hineinreicht, auch in diesen fahren dürfen, wie ein Sprecher des Landratsamtes Freyung-Grafenau am Montag sagte. Die Allgemeinverfügung zu den neuen Regelungen soll ab Dienstag (00.00 Uhr) gelten.
Auch der Landkreis Cham arbeitet laut einem Sprecher an einem solchen Passus in der Allgemeinverfügung. Menschen aus den Landkreisen Regensburg oder Schwandorf, die an der Grenze zum Landkreis Cham leben, sollen in diesen fahren dürfen, um ihren 15-km-Radius ausschöpfen zu können.
Einen anderen Weg schlägt beispielsweise der oberfränkische Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge ein. Dort gilt ebenfalls der 15-Kilometer-Radius. Er werde aber zunächst nicht für auswärtige Besucher abgeriegelt, sagte eine Sprecherin.
Gemeindetagspräsident Brandl sagte im Bayerischen Rundfunk: „Wir könnten heute Bewegungsprofile aus den Handys auslesen und auf diese Weise sehr treffsicher feststellen, wo sich die Menschen aufhalten. Wir müssen uns halt jetzt entscheiden, was wichtiger ist, der Gesundheitsschutz oder der Datenschutz.“
An dem Vorschlag entzündete sich prompt scharfe Kritik aus der FDP sowie von AfD und Grünen. Auch in der bayerischen Staatsregierung stieß der Vorstoß dem Vernehmen nach nur auf Kopfschütteln.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber lehnte den Vorschlag in der „Augsburger Allgemeinen“ ab. Landkreistagschef Bernreiter sagte, eine ähnliche Diskussion habe es bei der Corona-Warn-App gegeben. „Bis das höchstrichterlich ausgestritten wäre, ist die Pandemie vorbei.“
Den höchsten Inzidenz-Wert in Bayern verzeichnete am Montag laut RKI der Landkreis Passau mit 341,5, gefolgt von den Landkreisen Berchtesgadener Land (338,0) und Wunsiedel (331,7).
Betroffen sind demnach auch die Kreise Kulmbach, Coburg, Kronach, Rottal-Inn, Bayreuth, Roth, Deggendorf, Donau-Ries, Tirschenreuth, Lichtenfels, Cham, Weißenburg-Gunzenhausen, Miesbach, Haßberge, Regen, Freyung-Grafenau, und Dingolfing-Landau. Ebenfalls über einer 7-Tage-Inzidenz von 200 liegen die Städte Coburg, Passau, Landshut, Hof, Fürth, Weiden, Rosenheim sowie Ingolstadt.
Die bayerische Staatsregierung hatte die Einschränkung der Bewegungsfreiheit vergangene Woche beschlossen, um die Verbreitung des Coronavirus weiter zurückzudrängen. Eine Entfernung von mehr als 15 Kilometern vom Wohnort ist in Hotspots dann nur noch erlaubt, wenn triftige Gründe vorliegen, etwa die Fahrt zur Arbeit oder zum Einkaufen, nicht aber touristische Tagesausflüge. (dpa/lby)