Eigentlich könnte der ehemalige Bankbeamte Nicholas Winton es sich gut gehen lassen und seinen Ruhestand genießen. Winton, gespielt vom zweifachen Oscar-Preisträger Anthony Hopkins, hat ein nettes Häuschen mit Pool, eine liebe Frau, die Tochter erwartet ein Kind.
Doch in Wintons Gesicht hat sich tiefer Gram eingeschrieben. Beim täglichen Schwimmen verfolgen ihn düstere Bilder. Und es ist kein Zufall, dass sein ganzes Haus mit Erinnerungen zugestellt ist - eine Aktentasche hat er tief in einer Schublade vergraben.
Sie hat mit einem besonderen Kapitel seines Lebens zu tun. Das erzählt Regisseur James Hawes («Black Mirror») im Film «One Life» in ausführlichen Rückblenden. Er führt zurück in das Jahr 1938: Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wollen die Großmächte Großbritannien, Frankreich und Italien die Kriegsgefahr bannen und lassen die Tschechoslowakei das Sudetengebiet an das Deutsche Reich unter Adolf Hitler abtreten, in der - vergeblichen - Hoffnung, ihn so zu besänftigen. Daraufhin fliehen viele Menschen nach Prag und hausen dort unter entsetzlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern.
Er versucht das Unmögliche
Der junge Winton, gespielt von Johnny Flynn, kann nach einer Reise dorthin nicht anders, als mit Gleichgesinnten das Unmögliche zu versuchen: vor allem jüdische Kinder mit dem Zug nach England zu evakuieren.
Der Film schildert diesen mutigen und heldenhaften Kampf in all seinen bewegenden Details. Er erzählt von widerspenstigen Bürokraten, die Visa verweigern, fehlendem Geld, der schwierigen Suche nach Pflegeeltern, aber auch von Mitmenschlichkeit und einem tollen Team, bei dem sich auch Wintons Mutter (Helena Bonham Carter) mit beeindruckendem Durchsetzungsvermögen engagiert.
Die Vergangenheit lässt ihn nicht los
Die Rückblick-Szenen verschränkt der Film immer wieder mit der Gegenwart des gealterten Nicholas Winton, der sich weiterhin ehrenamtlich für Schwächere und Bedürftige einsetzt. Langsam beginnt er, sein Leben aufzuräumen und sich lange Verdrängtem zu stellen. Es sind vor allem all die Kinder, die er nach dem plötzlichen Kriegsausbruch nicht mehr retten konnte oder die verschwunden sind, deren Bilder ihn verfolgen.
Und als er dann eines Tages doch noch nach der Aktentasche greift mit all den Fotografien, Dokumenten und Lebenszeugnissen darin, interessiert sich die Welt auf einmal für seine Geschichte.
Die Schrecken des Holocausts sind kein leichtes Thema für einen Film. Vor allem, wenn wie hier die Realität schlimmer war als jede Fiktion sie je mit Worten und Bildern zu beschreiben vermag. Ohne Anthony Hopkins, der mit gebotenem Maß und Minimalismus spielt und immer auch mit einem angedeuteten Lächeln wieder in die Gegenwart und ins Leben zurückfindet, wäre der ansonsten recht konventionell und solide erzählte Film wahrscheinlich schwer erträglich. Es dürfte unmöglich sein, diesen Film ohne Taschentücher zu überstehen, vor allem in dem Moment, als Winton dank einer populären Fernsehsendung auf einmal viele der damals Geretteten wieder trifft.
Nicholas Winton war eine Art britischer Oskar Schindler (unvergessen durch den Steven-Spielberg-Film «Schindlers Liste»), auch wenn er diese Bezeichnung wohl selbst nicht mochte. Ein Mann, der nicht gezögert hat, gegen alle Widerstände in größter Not das Richtige zu tun - und dem dieser Film mit einem grandiosen Hauptdarsteller ein bewegendes Denkmal setzt. (dpa)